Mein allererstes Mal

Mein allererstes Mal…

Haben Sie schon mal an einer Sitzung des Stadt- oder Gemeinderats teilgenommen? Oder an der Ausschusssitzung eines politischen Gremiums? Ich bisher noch nicht.

Gestern war der 1.3.2018. Ein Donnerstag. Zum allerersten Mal habe ich an einer lokalpolitischen Sitzung teilgenommen und erleben dürfen, wie sich Menschen auf (klein-) politischer Bühnen zeigen und entwickeln – vor allem, wenn Publikum anwesend ist.

Bei uns im Ort gibt es ein Naturbad, das vor über zwanzig Jahren noch der Gemeinde gehörte.
Als die Kommunen lernten, alles Wichtige, was die Basis und Grundversorgung von Menschen in einem Gemeinwesen ausmacht, zu privatisieren oder abzustoßen, damit alles angeblich billiger wird, da sollte auch das Freibad geschlossen werden.

Glücklicherweise taten sich eine Reihe Bürger zusammen, gründeten einen Verein, um im gemeinsamen bürgerschaftlichen Engagement das Naturbad zu erhalten und damit ein Zeichen gegen politisches Handeln zu setzen, das sich immer häufiger den Interessen wirtschaftlich einflussreicher Kreise anschloss und dabei die Bürgerinteressen mehr und mehr aus den Augen verlor.

In diesem Freibad verbrachte fast jeder Eingeborene als Kind und als Elternteil Teile seiner Sommerzeit; auch die hinzugezogenen Familien mit ihren Kindern nutzten die dortigen Möglichkeiten. Sie verbrachten dort Zeiten in Geselligkeit, die Kinder lernten schwimmen, machten ihr Schwimmabzeichen, knüpften Freundschaften, die teils ein Leben lang halten.

Die Eltern konnten etwas abspannen, denn es war immer eine familiäre Athmosphäre dort, auf den Liegewiesen war immer Platz, das Gelände überschaubar und die Kinder gut im Blick.

Die Chlorschwimmbrille konnte man getrost zuhause lassen, denn das Freibad bestand aus einem Schwimmbecken, auf dessen Grund Frischwasserquellen ständig reines, klares Wasser nach oben drücken und somit die Grundlage bieten für ein wunderbares und gesundes Naturbaderlebnis.

In der gesamten Geschichte des Naturbads musste der Badebetrieb nur ein einziges Mal unterbrochen werden – im Jahr 2015 gab es ein Hochwasser, das dafür sorgte, dass die am Freibad vorbeifließende Nette und alle anderen Bäche und Wasserläufe in der Umgebung über ihre Ufer traten und ihr Wasser in das Becken drückten.
Die dabei eingetragenen Düngemittel der umgebenden Landwirtschaft begünstigten ein explosionsartiges Wachstum von Blaualgen – Baden verboten.

Ansonsten zeigen die Wasserproben seit Jahrzehnten, dass die Wasserqualität mindestens „gut“ meistens aber „sehr gut“ ist.

Was hat das mit meiner ersten Begegnung mit der Lokalpolitik zu tun?

Der Verein, der dieses Natur- und Freibad betreibt, lebt vom Engagement seiner Mitglieder und der Einsatzbereitschaft ehrenamtlicher Helfer. Das Hauptziel des Vereins ist es, das Schwimmbad zu erhalten, einen sicheren Betrieb zu gewähren und den Menschen der Gemeinde, die materiell nicht so gut ausgestattet sind, ebenso eine attraktive Freizei zu ermöglichen.

Die Mitgliedsbeiträge sind bewusst niedrig, somit die Einnahmen überschaubar und immer etwas knapp bemessen.

Die Kommune legte immer viel Wert darauf, dass das Schwimmbad nicht nur den eingetragenen Mitgliedern zur Verfügung steht; auch Menschen, die nicht Mitglied sind, sollten die Möglichkeit haben, dort gegen Eintritt schwimmen zu gehen, den die Mitglieder natürlich nicht zu entrichten brauchen.

Auch die Benutzer eines nahe gelegenen Wohnmobilpatzes der Kommune sollen die sanitären Anlagen und die Schwimmmöglichkeiten nutzen können.

Alles das waren und sind zusätzliche Anforderungen, die von Politik und Verwaltung an einen „armen e.V.“ herangetragen werden. Dabei muss man positiv hervorheben, dass die Kommune den Verein so weit finanziell unterstützt, dass die Grundkosten für das Gebäude fast kostenfrei sind und die Jugendarbeit umgesetzt werden kann.

Dennoch stellt es für ein überschaubares Team ehrenamtlicher Helfer eine enorme Leistung dar, mit wenig Geld nicht nur Wasser, Gelände, Gebäude, Geräte und sämtlichen Bade- und Schwimmbedarf vorzuhalten und zu warten. Auch der tägliche Badebetrieb muss rein ehrenamtlich organisiert werden.

Um einmal zu verdeutlichen, welchen wirtschaftlichen Wert solch ein Verein durch die Arbeit seiner Menschen für ein Gemeinwesen „Kommune“  erbringt, kann man sich vor Augen führen, dass für das Jahr 2016 5133 Arbeitsstunden (mindestens!) erbracht wurden.

Legt man den Mindestlohn im Baugewerbe zugrunde (12.43€), so entspricht das einem erbrachten Wirtschaftswert von 63.800 Euro; dieser ist mit Sicherheit noch höher anzusetzten, weil viele Tätigkeiten wesentlich teurer wären, wenn sie von Fachunternehmen geleistet und abgerechnet würden. Glücklicherweise bringen immer wieder Menschen aus unterschiedlichen Berufen in ihrer Freizeit kostenlos ihr berufliches Knowhow mit ein.

In den Zahlen sind nicht enthalten tausende von Euro, die in Form von gesponserten Materialien von Privatpersonen und Firmen eingebracht werden.

Und da nach zwanzig Jahren Wind, Wetter, Frost und Hitze auch eine Schwimmbadeinfassung einmal brüchig werden kann, so dass diese nicht mehr mit laienhaften Mitteln und kleinem Etat punktuell zu reparieren ist; und da auch ein altes Vereinsgebäude wieder in Teilberichen erst wieder benutzbar gemacht werden muss – hat der Vorstand des Vereins immer wieder Anlass, bei der Gemeinde Anträge auf Zuschüsse zu stellen.

Und hier wird es interessant:

Als zweitgrößter Verein am Ort muss man erfahren, dass der größere Verein am Ort mit der doppelten Mitgliederzahl mit einem Betrag deutlich über 1 Mio. Euro von der Kommune gefördert wurde. Es handelt sich um einen renommierten Sportverein, anerkannt und beliebt, mit einem ganzjährigen gut organisierten Sportbetrieb, verschiedenen Abteilungen des Sports, also wirklich breit aufgestellt und Anlaufpunkt für viele Bürger.

Bei Sportveranstaltungen kommen die gegnerischen Mannschaften der verschiedenen Ligen und absolvieren dort ihre Spiele. Auch Zuschauer sind dabei, aber alles im gewohnten Rahmen eines größeren ländlichen Vereins.

Das Naturbad mit etwa der Hälfte der Mitglieder benötigt nun nach zwanzig Jahren einen höheren Betrag, ca. 80.000€, um die Substanz von Becken und Gebäude wieder zu sanieren und damit für mindestens weitere 20 Jahre den Betrieb fortsetzen zu können. Also weniger als ein Zehntel des Betrgas für den größeren Verein.

Und da beginnt meine lokalpolitische Begegenung – mein erstes Mal.

Der kommunale Planungsausschuss lädt ein, damit der Verein seine Bedarfslage und die Planungen der nächsten Jahre darstellen kann. Fast dreißg Minuten werden mit Zahlen, Daten, Bildern und Fakten die aktuelle Situation und die konkreten Projekte beschrieben.

Dann kommt es zu der Aussprache der anwesenden Politiker.

Da gibt es zum einen welche, die Fragen stellen, um die Darstellung noch zu konkretisieren und um zu ergründen, ob es Sinn machen könnte, den Verein bei seinen Anliegen zu unterstützen. Und wo auch der Vorteil für die Kommune liegen könnte, die ihre Attraktivität steigern möchte, die gerne Tourismus in den Ort lenken und den damit verbundenen Mehrwert gewinnen möchte.

Und dann gibt es welche, die erst einmal gar nicht auf das Gesagte eingehen; die darauf abheben, dass in dem Freibad keine Schwimmwettkämpfe angeboten werden, somit der Name „Schwimmverein“ wohl zu Unrecht bestünde oder der Vereinszweck gar nicht bedient werde.

Die Tatsache, dass mittlerweile die Hälfte aller Schulkinder gar nicht mehr schwimmen kann, weil Schwimmunterricht in der Schule ausfällt oder gar nicht mehr angeboten wird und der Aufenthalt in Schwimmbädern in der Freizeit erheblich zurück gegangen ist, sollte einem argumentierenden Politiker doch eigentlich bekannt sein.

(ZEIT ONLINE: „Deutschland wird zum Nicht­schwimmer­land“ – Mehr als die Hälfte der Kinder kann nicht richtig schwimmen. Immer mehr Menschen ertrinken. Und es könnte noch viel schlimmer kommen, fürchten die Lebensretter der DLRG. – Interview: Fabian Scheler – 9. Juni 2017, 14:24 Uhr.)

(NDR Info: Stand: 06.06.2017 16:12 Uhr – Lesezeit: ca.3 Min.: DLRG: Immer weniger Kinder können schwimmen – An einem heißen Sommertag ist ein Ausflug zum Schwimmbad oder ans Meer oft das Einzige, das Erfrischung bringt. Doch der Sprung ins kühle Nass ist besonders für die Jüngsten eine ernstzunehmende Gefahr. Mindestens jeder zweite Grundschüler ist kein sicherer Schwimmer. Das hat eine Forsa-Umfrage ergeben, die die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) am Dienstag in Hannover vorgestellt hat.)

Hier wäre also durchaus für einen Politiker, der das Wohl der Bürgerinnen und Bürger im Blick hat, die Gelegenheit, sich durch konstruktive Mitwirkung so einzubringen, dass Kindern der Umgang mit großem Wasser und dem Schwimmen – einer ÜBERLEBENSTECHNIK – wieder vetraut gemacht wird.

Dann wurde kritisiert, dass der Verein ja nur 90 Tage im Jahr ein Angebot vorhalte, eben in der Badesaison.

Da staunt man als einfacher Bürger erst mal nur. Muss sich die Betreibergesellschaft von Eislaufbahnen demnächst rechtfertigen, dass sie im Sommer kein Eiskunstlaufen oder Eishockey anbietet?

Hier hätte der motivierte Lokalpolitiker durchaus auch einen positiven Aspekt benennen können: Erstaunlich, wie es gelingt, in nur etwas mehr als drei Monaten ein Vielfaches an Touristen und Besuchern anzuziehen, als es anderen Vereinen gelingt (Mitgliederzahl 814 Personen; davon 165 Kinder und Jugendliche; 295 Familien; 52 neue Jahresmitgliedschaften, davon 41 Familien; 1385 Tagesmitgliedschaften; 9 Wochenmitgliedschaften, von denen 8 in Jahresmitgliedschaften mündeten; Über 300 Benutzer des Mobilheim-Service: Duschen).

Aber nein – da besteht plötzlich viel mehr das Interesse, man würde doch mal gerne Einblick in die Kassenbücher bekommen und gerne den Steurbescheid des Finanzamtes einsehen, um sich von der Finanzlage des Vereins und weiteren Aspekten zu überzeugen. Und das, obwohl oder weil die Lokalpolitiker auf der Jahreshauptversammlung des Vereins als Gäste erschienen waren und den Finanzbericht mitbekamen – und heftig mitschrieben.

Bei diesem Vorschlag zuckten selbst erfahrene Verwaltungsfachleute zusammen und wiesen dieses Ansinnenn erschrocken zurück.

Ich als betroffener Bürger zuckte ebenfalls.
Und dachte gleichzeitig: Wäre sehr interessant, im Gegenzug die Kassenbücher, die Ein- und Verkäufe, die Personalbewirtschaftung usw. und den Steuerbescheid eines lokalen Unternehmens einsehen zu dürfen, z.B. der Eisdiele am Ort.

Da war schon verflixt viel Engagement zu erleben, wie mit hochrotemm Kopf, erhobener Stimme, bestimmendem Ton Antworten und Einwände übertönt wurden.

Da frage ich mich als einfacher Bürger: Was mag solche Politiker wohl antreiben? Tatsächlich die blanke Sorge um den Haushalt der Gemeinde?

Oder mag es eine Rolle spielen, dass das Naturbad auf einem der wenigen Grünlandstücke liegt, die im Rahmen der zukünftigen Bebauungen des noch bestehenden (Rest-) Grüngürtels noch verkauft, erschlossen und bebaut werden sollen?

Könnte es sein, dass ein so engagiertes Ratsmitglied überwiegend wirtschaftliche Interessen im Blick hat? Und als Ästhet den Anblick einer „Baulücke“ nur schwer ertragen kann?

Ein ungutes Gefühl hat mich am 1.3.18 beschlichen. Sollte es tatsächlich auch in der Lokalpolitik so zugehen wie in der großen Politik? Ehemalige Fachminister und Staatsekretäre haben lebhafte Kontakte in die entsprechenden Wirtschaftsbranchen und werden nach Ende der poltischen Karriere dort gerne genommen?

Aber Gefühle können einen ja auch täuschen…

Über Ruedi

Zusammenhänge machen mich neugierig. Da immer alles mit den Zusammenhängen zusammen hängt, kann man nichts losgelöst betrachten. Ich bin über 50 Jahre alt, Großvater, Vater und Ehemann und freue mich darauf, neue Denkweisen kennen zu lernen und Neues aus zu probieren - wie z.B., eine gewisse Öffentlichkeit im Internet zuzulassen, von der ich weiß, dass ich sie nicht mehr zurück nehmen kann. Puh!
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